Moon Suk mit Brille in einem pink-grünen Pullover, posiert auf einem Kosmos-Blumenfeld in Korea, eine Hand zum Schutz vor der Sonne an der Stirn.
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Die Pragmatik des Neubeginns: Wie eine koreanische Frau ihr Schicksal selbst schmiedete

Einleitung: Ein Abschied im Zeichen der inneren Pragmatik Manchmal muss man einen Kontinent überqueren, um zu verstehen, welche Mauern im eigenen Kopf einstürzen dürfen. Lange dachte ich, es sei eine romantische Vision, meine Heimat Korea zu verlassen, um im Ausland die geistreiche Liedkunst zu studieren. Mein Ziel war es, durch Musik meinen Lebenssinn zu ergründen…

Einleitung: Ein Abschied im Zeichen der inneren Pragmatik

Manchmal muss man einen Kontinent überqueren, um zu verstehen, welche Mauern im eigenen Kopf einstürzen dürfen. Lange dachte ich, es sei eine romantische Vision, meine Heimat Korea zu verlassen, um im Ausland die geistreiche Liedkunst zu studieren. Mein Ziel war es, durch Musik meinen Lebenssinn zu ergründen und die Schönheit deutscher Meister wie Schumann, Brahms und Schubert für möglichst viele Menschen erlebbar zu machen. Ein poetischer Traum, der sich bald als pragmatische Flucht entpuppte. Ich gestehe: Als ich mit jungen Jahren Korea für Deutschland verließ, glich mein Innerstes einem kunstvoll verpackten Geschenk – dessen Inhalt mir selbst noch Rätsel aufgab. Doch selbst in diesem Moment, da ich die Vertrautheit meiner Heimat hinter mir ließ, folgte ich einer tief verwurzelten Pragmatik.

Die Jugend als Geschäft und die pragmatische Intention Koreas

Meine Kindheit? Eine Lektion in Tugendhaftigkeit, gesprenkelt mit Verboten und dem ungeschriebenen Gesetz der „perfekten Partie“. Als Jüngste von vielen Geschwistern, erzogen in einem Haushalt, dessen Konservatismus selbst in Korea Maßstäbe setzte, war mein Leben vor allem eines: streng getaktet. Ich durfte mich von meinen Geschwistern nicht mit ihren männlichen Freunden herumtreiben.

Vor 20 Uhr musste ich im heimischen Hafen ankern. Draußen mit Freundinnen herumstromern? Eine Sünde, die ich mir nie erlaubte. Zwischen Mittel- und Oberschule wagte ich es nicht ein einziges Mal, ein Kino von innen zu sehen – geschweige denn eine Konditorei. Wir Schüler lebten für unsere Schulzeugnisse, für die Zukunft. Das ultimative Ziel: eine(n) finanziell erfolgreiche(n) Partner(in) zu finden, zu heiraten und artig Kinder zu bekommen. Eine gute Partie zu machen, das war die große Mission, besonders für junge Fräulein. Das Lernen, die guten Noten? Sie waren lediglich das Ticket zu dieser glorreichen Ehe-Transaktion. Ein durch und durch pragmatischer Lebensplan.

Denn Heiraten, das war bei uns kein flüchtiger Liebestraum, sondern ein durchdachtes Geschäft. Zwischen Mann und Frau, ja. Aber viel entscheidender: zwischen den Familien. Ich beobachtete während meines Studiums: Man „datete“ aus Gefühl, aber die Eheringe wurden dann doch oft einem anderen angesteckt. Ja, Koreaner sind pragmatisch. Sehr pragmatisch.

Vielleicht liegt es in unserer zähen Landesgeschichte begründet, diesem kleinen halben Insel-Staat, der sich am 38. Breitengrad in einem andauernden Kriegszustand befindet. Korea, das in seiner 5.000 Jahre alten Geschichte Hunger und Krieg in seiner DNA trägt. Vielleicht ist es dieses traumatisierte Erbe, das die Ehe bis heute als knallhartes Geschäft betrachtet. Romantik? Eine nette Beilage, aber kein Hauptgericht. Alles hatte seinen pragmatischen Nutzen.

Eine pragmatische Träne und die Landung in Bonn

Und dann kam der Flug. Ein Flug ins Ungewisse, beladen mit Abschieden und einer unerwarteten emotionalen Flut. Beim Abschied am alten Flughafen Kimpo in Seoul war ich noch die fröhliche Moon Suk. Doch kaum drehte ich mich um, da geschah es: Über 18 Stunden lang, in meinem engen Flugzeugsitz, flossen die Tränen wie ein Wasserfall.

Ich verstand es nicht. Warum diese unendliche Traurigkeit? Vielleicht ahnte ich in diesem Moment, dass ich mit meinen frisch erhaltenen Flügeln – im ersten Flugzeug meines Lebens – nie wieder in den geschützten Kokon der Kindheit zurückkehren würde. Dies war der pragmatische Schnitt zu einem neuen Leben.

In dem halben Jahr Deutschkurs vor dem Abflug verstand ich nicht viel. Aber ich wusste, dass es im Deutschen Maskulinum, Femininum und Neutrum gibt. Vom einfachen, logischen Koreanisch war das Erlernen dieses schwindelerregenden Tanzes aus „der, des, dem, den“ eine pragmatische Folter, die unendlich schwierig war.

Über Alaska flog ich nach Frankfurt und weiter mit dem Zug nach Bonn, der damaligen Hauptstadt. Es war der 15. Januar 1989. Die Mauer stand noch, Deutschland war ein geteiltes Land. Mir war alles exotisch. Endlose grüne Wiesen, die selbst im tiefsten Januar so frisch und lebendig leuchteten – diese Farben umarmten mich förmlich. Ich landete nach einer gefühlten Ewigkeit des Unterwegsseins.

In meiner Tasche hatte ich Zulassungen für die Aufnahmeprüfungen der Kölner und Karlsruher Musikhochschulen. Und dann war da noch… die Musikwissenschaft an der Bonner Universität. Musikwissenschaft? Das passte zu mir wie eine Ballett-Tänzerin ins Sportwissenschaftsfach! Ich wollte deutsche Lieder studieren, nicht an einer Doktorarbeit über Musikwissenschaft schreiben. Ich hatte das nur beantragt, weil ein kleiner koreanischer Student mit Brille, den ich im Deutschkurs kennengelernt hatte, es mir empfohlen hatte. Er nannte sich J. Er wollte mich heiraten. Seine Empfehlung war wohl ebenfalls pragmatisch gedacht, um mich in seiner Nähe zu behalten.

Die pragmatische Rebellion: Bildung als einzige Chance

Wenn ich an meine erste Reise zurückdenke, sehe ich mich selbst wie einen unschuldigen, naiven, frischen grünen Spross, genau wie die deutschen Wiesen, die mir ins Auge stachen. Ich war in den meisten Fällen passiv, eine fast unsichtbare Beobachterin des Lebens. Nur selten war ich stur, aber wenn, dann mit der Kraft einer Eiche. So wie bei meiner Studienreise nach Deutschland.

Ich wollte es, auch wenn meine familiäre Situation keinerlei Unterstützung zuließ. Mein Vater war verstorben, als ich 3 Jahre alt war. Meine Mutter verließ ihre Kinder, samt mir, als ich 5 Jahre alt war. Die Abwesenheit meiner Eltern war kein leeres Loch, sondern ein scharfer Spiegel, der mir zeigte: Bildung ist die einzige Chance, nicht auf der Straße zu landen. Diese Erkenntnis war der ultimative Pragmatismus, der mich antrieb.

Darum habe ich mich ununterbrochen bilden lassen, bis heute, wie in einer fest geankerten Gewohnheit. Meine Bildungsstreben war eine pragmatische Notwendigkeit, kein Luxus, keine Freizeitbeschäftigung.

Während deutsche Studenten früh zur Selbstständigkeit erzogen werden, war es in Korea zur damaligen Zeit unüblich. Dort unterstützten die Eltern ihre Kinder vollkommen, und die Schüler sollten dafür beste Ergebnisse nach Hause bringen. Eltern leben, opfern und fordern für ihre Kinder. Und die Pflicht der Kinder ist, ihre Eltern stolz und glücklich zu machen. Ich hatte diese aufopfernde Familienunterstützung nicht und schuftete deshalb mein gesamtes vierjähriges Studium über selbst, um meine teure Studiengebühr zu bezahlen. Ich bin Absolventin der Ewha Womans University, einer führenden Frauenuniversität, wo die Heirat während des Studiums streng verboten war. Ich habe gelesen, was ich konnte. Täglich las ich mehrere Bücher und meine Lesegeschwindigkeit wurde irrsinnig schnell.

Meine Wochenenden waren mit Auftritten voll terminiert, denn jede Hochzeit benötigte live gespielte klassische Musik. Ich habe unzählige Hochzeiten gesungen und Gesangsstunden gegeben. In Korea konnte man als Studentin mit Musikstunden sehr, sehr viel Geld verdienen. Ich arbeitete auch in der Bibliothek und erhielt dafür die Hälfte meiner Studiengebühren. So konnte ich mein Studium finanzieren.

Glücklicherweise wurde ich sofort nach dem Studium im Puchon City Chorus, einem staatlich subventionierten Chor, engagiert und bekam im ersten Jahr sage und schreibe 16 Gehälter. Alle drei Monate gab es doppelte Gehälter, sogenannte Boni. Ab dem zweiten Jahr sollten es sogar 18 Gehälter sein – extra Boni für das neue Jahr und zum Erntedankfest. Das war einer der entspanntesten Jobs überhaupt für eine weibliche Chorsängerin.

Ich war eine der begehrtesten Brautkandidatinnen für den Heiratsmarkt: eine musikalisch ausgebildete Frau, die zu einem hohen gesellschaftlichen Kreis gehörte. So ein Traumjob, der viel Zeit für Kindererziehung und Familienleben ermöglichte, war finanziell auch sehr lukrativ. Doch eine Eigenschaft war mein Makel, der nicht mit Geld aufzuwiegen war: Ich hatte keine Eltern.

Ohne Eltern aufgewachsen zu sein, war bei allen zukünftigen Schwiegermüttern unbeliebt. Sie wünschten sich gut erzogene, das heißt, von ihrer Mutter ständig manipulierte junge Mädchen, die für die Schwiegereltern hörig waren und passiv alle Kommandos erledigten. Ein Mädchen, das ohne Eltern aufgewachsen ist, hat in den Augen der Gesellschaft zu früh eine selbstständige Persönlichkeit entwickelt und konnte schlecht gezähmt werden. Im Grunde machte solch ein pragmatisches Vorurteil die Chance auf Heirat mit einem Koreaner für mich unmöglich.

Als ich diesen Job aufgeben wollte, verstand mich kaum jemand. „Warum gibst du diesen tollen Job auf und gehst ohne Erfolgsgarantie nach Deutschland?“, fragten sie. Doch trotz der Boni im zweiten Jahr, kündigte ich von Anfang an. Ich dachte nur, ich möchte mein eigenes Ideal leben und meinen Interessen folgen. Dieser Plan schlummerte seit meiner Mittelschule in mir: Nach meinem koreanischen Studium gehe ich weg aus Korea. Für die Vorbereitung habe ich als Chorsängerin ein Jahr genutzt. Ein Akt des persönlichen Pragmatismus.

Ich wollte in so einer Gesellschaft nicht mithalten. Das war meine pragmatische Konsequenz. Die Gehälter und Konditionen, die mich hinter den Solistinnen singen ließen, waren wie ein Beruhigungsmittel. Für mich war es aber nicht vorstellbar, gemütlich Geld zu verdienen und einen Muttersöhnchen-Mann zu heiraten, dessen Schwiegermutter meine Selbstständigkeit als Makel behandeln würde. Dann singe ich lieber allein auf der Straße! Das war der höchste Pragmatismus meiner Seele.

Ein pragmatischer „Pipimann“ und die Bonner Lektion

Der erste Abend in Bonn. J, der koreanische Student, holte mich vom Bahnhof ab. Er hatte an der renommierten Yonsei Universität studiert und war der älteste Sohn seiner Familie. Ein ältester Sohn mit einem Yonsei-Abschluss, dessen Familie scheinbar mehrere Immobilien besitzt – diese pragmatische Spitzenpartie würde mich jemals akzeptieren? Er musste sehr einsam gewesen sein, denn er lauerte nur darauf, auf mich herfallen zu können.

Er kochte in seinem winzigen Zimmer Reis mit Sojasprossen- und Seetangsuppe. Er, als ältester Sohn, hatte in Korea nie selbst kochen müssen. Er redete Geschichten, dass es einige Paare gäbe, bei denen die Männer Geisteswissenschaften in Bonn und ihre Partnerinnen Musik in Köln studierten.

Das hieß im Klartext: Er bot mir an, als Frau und Mann miteinander Sex zu haben, aber ohne Heiratsabsichten. Eine rein pragmatische Übereinkunft. Es schien, als hätte er sich sehr viele Gedanken über unsere „Zukunft“ gemacht, während ich ihm aus Höflichkeit nach Bonn folgte, weil er in Korea so viele Liebeserklärungen gemacht hatte. Ich war jung und naiv, nicht so weit, dass ich Meinungen ändern oder sagen konnte, was man tun oder nicht tun sollte. Seine Mutter hatte Fotos von mir gesehen und entschied, wen er heiraten müsse. Da gehörte ich keinesfalls dazu.

Ich verstand seine Absicht so klar, so deutlich. Er wollte eine Beziehung, aber heiraten konnte er mich nicht. Ich hörte unaufgeregt zu und empfand es als ziemlich praktisch für ihn. Wie pragmatisch seine Vorstellung doch war! Er will mich entjungfern, aber keine Verantwortung übernehmen. Was für ein unverschämter Vorschlag, den er einer frisch gelandeten, konservativen Koreanerin machte! Mein Pragmatismus sagte mir, das sei ein sehr schlechtes Geschäft für mich.

Nüchtern, auch ganz pragmatisch, dachte ich: Wie klein dieser Mann doch ist. Der J in Bonn war nicht mehr der kluge und selbstbewusste Mann, den ich in Korea kennengelernt hatte. Hier schrumpfte sein Selbstbewusstsein so klein wie seine Körpergröße. Ich sah einen kleinen asiatischen Mann mit Brille, verunsichert, aber geil auf mich war.

Er besuchte mich fast jeden Tag in meinem temporären Studentenwohnheim „Newman Haus“ – unter dem Motto, er wolle mir als „Kenner“ helfen, ein Bankkonto zu eröffnen, das Postamt und den Supermarkt zu zeigen… und auch mit mir schlafen. Ich empfand weder Erotik noch Romantik vor diesem kleinen Mann J, der mich ganz pragmatisch für sein Begehren ausnutzen wollte. Wenn man keine sexuellen Erfahrungen hat, macht einen nichts heiß. Ich war einfach nur erstaunt über seine Verführungskunst.

In diesem Zimmer habe ich dann seinen „Pipimann“ gesehen. Er redete, redete, war er scheinbar sehr erregt. Ich war eine Jungfrau und ich war alarmiert. Mein Körper war angespannt, denn meine Flitterwochen sollten nicht auf einer Studentenwohnheim-Matratze stattfinden. Ich habe nichts gemacht. Der Mann, der mir ständig eine pragmatische Mikro zu seinen Gunsten auftischte, flüsterte. Ich schaute ihn eher merkwürdig an. In diesem Moment dachte ich, in einem Anflug von höchster Pragmatik: „Oh Gott, was für ein Glück, dass meine Jungfräulichkeit von diesem Mann nicht in Gefahr ist.“ Ich musste über die Absurdität der Situation lachen. Wie lächerlich es war, dass ich auf seine Geilheit mit solch einer rationalen Sorge reagierte.

Sein „Pipimann“ war groß und sehr steif, und er hechelte einige Male und ejakulierte. Was ist das denn, dachte ich. Hatte der Mann da gerade vor mir auf die Matratze ejakuliert? So etwas Seltsames hatte ich noch nie gesehen. „Seltsam“, dachte ich. Dann sagte er mir: „Moon, ich habe dir mein Innerstes gezeigt.“ Eine letzte pragmatische Mitteilung. Hatte ich ihn darum gebeten?

Fortsetzung folgt…

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Moon Suk feiert Uniabschluss mit vier Kommilitoninnen auf dem Campus in Roben und Hüten.

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